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Türkei: Wolf in Schafskleid
16. Juni 2008, 20:08 – Von Kai Strittmatter
Wie fast alle Türken ist auch Ilker Cinar Muslim. Er wurde jedoch Christ, um die Protestanten zu unterwandern. Ziel war, das Türkentum zu retten. Bezahlt wurde der Agent vom Militär.
Ein guter Türke, heisst es in diesem Land, ist auch ein guter Muslim. Ilker Cinar ist Türke und wurde doch Christ, Pfarrer gar. Mehr als ein Jahrzehnt arbeitete Cinar als Seelsorger, brachte es am Ende zum Superintendenten seiner Kirche im kirchlichen Amtsbezirk von Tarsus. Dann, eines schönen Februartages im Jahr 2005, war Cinar Gast im Billigsender Flash-TV. Es war ein denkwürdiger Auftritt. Cinar betrat das Studio mit einer Maske und wurde als protestantischer Pfarrer vorgestellt. «Ich möchte meinem Vaterland offen ins Gesicht sehen», sagte der fürs Publikum unkenntliche Cinar mit einem Mal. «Ich nehme meine Maske nun ab.» Er tat es. «Sind sie noch Christ?» fragte der lauernde Moderator, wohl wissend, dass die Sendung sich ihrem Höhepunkt näherte. «Gottseidank», antwortete Cinar, «bin ich wieder Muslim.» Er wandte sich an den neben ihm sitzenden islamischen Theologen: «Mein Lehrer, ich kehre zur Religion meiner Ahnen zurück.»
Die Sendung machte Ilker Cinar bekannt. Der Missionar, der vor den Augen der Fernsehzuschauer zum rechten Gauben zurückfand. Besser noch: Der Christ, der die geheimen Pläne der Christen verrät. Cinar begann noch im Studio, die Zuschauer über seine einstigen Glaubensbrüder aufzuklären: «Das Gerede von Nächstenliebe war unsere Taktik», sagte er. Das eigentliche Ziel: «Das heilige Land zurückzuerobern.» Besonders Kurden und Alewiten – bei türkischen Patrioten ohnehin im Generalverdacht als wankelmütige Gesellen – habe man sich als leichtgläubige Opfer vorgenommen. «Die USA unterstützten uns.» Kurz und gut: «Ziel der Missionare ist es, die Türkei zu spalten und Kurdistan zu gründen.» Dem Publikum stockte der Atem. Und Cinar legte nach.
Er schrieb ein Buch: «Der Code ist entschlüsselt – Ein ehemaliger Missionar berichtet». Darin noch mehr Enthüllungen: Tausende von versteckten Hauskirchen arbeiteten heimlich an der Unterwanderung der Türkei, den Missionaren stünden 73 Milliarden Dollar zur Verfügung. Die islamisch-nationalistischen Kreise der Türkei hatten einen neuen Kronzeugen: Ilker Cinar, der Warner vor der Verschwörung des Weltchristentums. Seit 2005 reist Cinar von einer Konferenz zur anderen. «Passt auf Eure Kinder auf!», ruft er vom Podium: «Rettet die Türkei.»
«Provokateur in Roben»
Vergangene Woche nun fiel dem prominenten Konvertiten ein weiteres Mal eine Maske vom Gesicht. Die Zeitung «Bugün» enthüllte: Cinar stand auf der Gehaltsliste des türkischen Militärs. Seit 1992. All die Jahre, die er als Pfarrer arbeitete. Er war, schrieb die Zeitung, ein «Provokateur in Roben». Fassungslos fragt die islamisch-liberale Zeitung «Zaman»: «Hat die Armee tatsächlich einen Agenten bezahlt, um Gewalt gegen Christen zu ermutigen?»
Die Puzzleteilchen: Im Februar 2005 beginnt Cinar seinen Feldzug gegen die spalterischen Christen, im Juli 2005 druckt die Zeitung «Cumhuriyet» einen Geheimdienstbericht, wonach Missionare die Türkei «wie ein Spinnennetz» überzogen hätten und Kurden gegen Türken aufhetzten. Zufall? 2005 ist das Jahr, in dem die Türkei offiziell ihren Beitrittsprozess zur EU beginnt – für viele Ultranationalisten in Bürokratie und Armee ein Alptraum. Der Verdacht: «Der Hass gegen Missionare wurde von den Nationalisten aktiv geschürt», glaubt der Menschenrechtsanwalt Orhan Kemal Cengiz. «Um die Annäherung an Europa zu sabotieren», sagt Ihsan Özbek, Vorsitzender der Allianz protestantischer Kirchen. Mit tragischen Folgen: Im Januar 2006 wurde der katholische Priester Andrea Santoro in Trabzon erstochen. Im April 2007 wurden in Malatya zwei türkische und ein deutscher Protestant gefoltert und ermordet. Die Täter waren jeweils nationalistische Jugendliche, die hinterher ihren Hass auf Missionare zu Protokoll gaben. Sie hätten das Vaterland schützen wollen.
Nur 4000 Protestanten in der Türkei
Missionierung ist legal in der Türkei. Die Paranoia davor reicht aber bis in die Ministerränge. Missionare wollten aus «politischen Motiven» heraus «die religiöse, nationale und kulturelle Einheit des türkischen Volkes aufbrechen», verkündete Mehmet Aydin, als Staatsminister zuständig für das staatliche Religionsamt. Eine Paranoia, die angesichts der Zahlen absurd wirkt. Vielleicht 3000 bis 4000 Protestanten gibt es in der Türkei heute. Zahlen des Innenministeriums zufolge traten in sieben Jahren genau 338 Türken zum Christentum über.
Ilker Cinar bestreitet, ein Agent provocateur gewesen zu sein. Er habe stets dem Staat gedient und nenne sich lieber einen «Ingenieur der Gesellschaft». Im Übrigen habe er Todesdrohungen erhalten. Aus den USA. Vorerst müsse er schweigen: «Wenn ich auspacke, hätte das schlimme Folgen für alle.»