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>> NEWSRettet das zweite Jerusalem!
Montag, 24. Oktober 2022
„Im vergangenen Jahr hat der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan bei seiner Rede in Köln gesagt, Assimilation sei ein Verbrechen. Erdogan muss es wissen, denn seit Jahrzehnten versucht der türkische Staat, die Kultur von religiösen Minderheiten durch
Schon die einleitenden Worte von Kubilay Demirkaya, Sprecher der „Initiative Mor Gabriel“, machten deutlich: Mit freundlichen Mahnungen und Volksfeststimmung, die noch im Januar die Berliner Demonstration für den Erhalt des Klosters Mor Gabriel im Südosten der Türkei bestimmt hatten, will sich die jüngst gegründete „Initiative Mor Gabriel“ nicht zufriedengeben.
Die Welle von Klagen, mit denen das Kloster seit dem letzten Sommer überzogen wird, ist für die Initiative, die sich aus Vertretern der aramäischen, alevitischen, kurdischen, armenischen Gemeinden und aus Mitgliedern des Verbands der Griechen aus Pontos zusammensetzt, nur der bisherige Höhepunkt einer türkischen kulturellen Vernichtungspolitik.
Einer der letzten Zeugen seiner Zeit
Einen derartigen Zusammenschluss von aus der Türkei stammenden Minderheitenvertretungen gab es in Deutschland bisher noch nie - die Politik der Trennung, die von der Türkei gegen diese Gruppen betrieben wird, setzte sich bisher immer auch auf deutschem Boden fort.
Nun will man gemeinsam für den Erhalt der eigenen Identität kämpfen. Neben Mor Gabriel setzt sich die Initiative auch für eine Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern ein.
Wieder einmal gehe es darum, die Reste christlicher Präsenz in der Türkei auszulöschen, lautete der Tenor der Protestkundgebung in Köln. Die Ideologie seit dem Genozid an den Armeniern habe sich nicht verändert, einzig die Mittel seien dem Zeitgeist angepasst worden: In der Türkei ist es üblich, mit Verfahren um angeblich ungeklärte Grundbucheinträge den christlichen Gemeinschaften, die de jure als Stiftungen existieren, den Ort ihres Wirkens zu entziehen. Sollten die Klagen gegen Mor Gabriel Bestand haben, wird das Kloster enteignet.
Die Klosterkirche Mor Gabriels ist älter als die Hagia Sophia, älter als jedes Kloster auf dem Berg Sinai. Vielen Christen gilt es als zweites Jerusalem. Mor Gabriel liegt auf einem Hochplateau, dem Tur Abdin, dem Berg der „Knechte Gottes“, das sich tief ins biblische Tigris-Tal erstreckt.
Von den etwa achtzig Klöstern, die dort seit dem vierten Jahrhundert gegründet wurden, ist das im Jahr 397 erbaute Kloster eines der letzten Zeugen seiner Zeit.
Das Unterrichten wurde verboten
Die Vorwürfe, mit denen es konfrontiert wird, sind geradezu absurd. Und erinnern an die von national-religiösen Gruppen geführte Kampagne, die in den Jahren 2006 und 2007 zu dem Mord an einem katholischen Priester und drei Protestanten geführt hatte.
Mor Gabriel habe die Grenzen der umliegenden Dörfer verletzt, den Wald als Weidefläche okkupiert und verfüge ohnehin über mehr Land, als die Gläubigen zum Beten bräuchten. Außerdem sei das Kloster auf muslimischen Gräbern erbaut worden und habe dafür eine Moschee zerstört - Mor Gabriel wurde fast zweihundert Jahre vor dem Auftreten des Propheten Mohammed errichtet und damit lange bevor Moscheen gebaut werden konnten.
Der Abt spalte die Bevölkerung, schicke Kinder zur Missionsarbeit aus und unterrichte Fremde in einer fremden Sprache, lautet ein weiterer Vorwurf - tatsächlich wird in Mor Gabriel vierzig Kindern von Assyrern nachmittags ein aramäischer Dialekt gelehrt.
Doch das war bekannt: Im Jahr 1997 wurde dem Kloster das Unterrichten laut Dekret verboten, dieses aber weiterhin stillschweigend geduldet. Dass die türkische Regierung nach internationalen Protesten auf die drohende Enteignung ausgerechnet ankündigte, an der Universität von Mardin einen Lehrstuhl für Aramäisch einrichten zu wollen, empfinde man da als Hohn, sagte Demirkaya.
Der Generalkonsul reagierte aggressiv
Tatsächlich liest sich das bisherige Vorgehen der türkischen Justiz als Versuch, die syrisch-orthodoxen Christen einzuschüchtern und zu demütigen. Die ersten Gerichtstermine wurden auf deren Advents- und Weihnachtsfeiertage gelegt.
Am 24. April, dem Tag, an dem auf der ganzen Welt Armenier, Aramäer und Pontos-Griechen der Massaker in den Jahren 1915 und 1916 gedenken, lud die türkische Regierung ausländische Diplomaten und Politiker zur feierlichen Übergabe von Grundbüchern an ein aramäisches Dorf auf dem Tur Abdin ein. Und in Deutschland reagierten Vertreter der türkischen Regierung auf die Unterstützer der „Initiative Mor Gabriel“ aggressiv.
Man solle sich nicht auf die Deutschen verlassen, denn für Deutsche seien Türken ohnehin alle gleich. Wenn die Deutschen könnten, würden sie die Türken durch eine Tätowierung kennzeichnen und ihnen das Gleiche antun, was sie während der Nazizeit getan haben. Die Türkei sei die einzige Schutzmacht, die die Türken schützen würde, zitierte die Initiative den türkischen Generalkonsul Hakan Kivanc. Und forderte dessen Absetzung.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AFP, ddp, picture-alliance/ dpa, REUTERS