In den USA hat der auswärtige Ausschuss für eine Armenien-Resolution gestimmt. Darin wird das Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft. Als Reaktion auf die Einstufung des Armenier-Massakers als Völkermord, hat die Türkei ihren Botschafter zu Beratungen zurückgezogen.
In einer nicht bindenden Erklärung fordert der Auswärtige Ausschuss mit einer knappen Mehrheit von 23 zu 22 Stimmen Präsident Barack Obama auf, die «systematische und vorsätzliche Auslöschung von 1,5 Millionen Armeniern klar als Völkermord zu qualifizieren». Ausserdem solle er sicherstellen, dass die Erinnerung an diese Ereignisse im Ersten Weltkrieg Teil der US-Aussenpolitik sei. Aus Ärger über die Resolution hat die Türkei die Abberufung ihres Botschafters aus Washington angekündigt. Die Abberufung trete sofort in Kraft, teilte der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan in einem Communiqué mit. Er sei besorgt über die Kosequenzen der Entscheidung für die Beziehungen zwischen Ankara und Washington sowie für den Versöhnungsprozess mit Armenien. Das armenische Aussenministerium in Eriwan begrüsste die Entscheidung.
US-Regierung hatte vor Annahme gewarnt Die Türkei hatte die US-Regierung wiederholt davor gewarnt, das Massaker als «Völkermord» zu klassifizieren. Türkische Politiker waren nach Washington gereist, um Ausschussmitglieder dazu zu bewegen, gegen die Resolution zu votieren. Und Vertreter türkischer Staatsfirmen riefen zudem Chefs grosser Unternehmen in den USA auf, sich gegen die Resolution auszusprechen. Auch die Regierung von Präsident Barack Obama hatte vor einer Beleidigung der Türkei im Fall einer Annahme gewarnt. Das NATO-Mitglied Türkei ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Nahen und Mittleren Osten. Obama hatte noch im Präsidentschaftswahlkampf 2008 erklärt, er werde die Tötung der Armenier als Völkermord brandmarken.
Türkei beharrt auf ihrer Position Mit dem Resolutionsentwurf warf der US-Aussschuss ein Thema auf, das in der Türkei hochsensibel behandelt wird. Die Türkei beharrt entschieden auf ihrer Position, wonach die Vertreibung mit ihren Folgen nicht als Genozid zu bewerten ist. Im Osmanischen Reich, das nach dem Ersten Weltkrieg unterging, lebten gegen Ende des 19. Jahrhunderts etwa 2,5 Millionen Armenier. Laut Historikern kam es schon 1895 unter Sultan Abdulhamid II. zu ausgedehnten Pogromen, weit mehr als 100 000 Armenier wurden getötet.
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Bis zu 1,5 Millionen Tote Den Auftakt zum Massenmord bildete am 24. April 1915 eine Verhaftungswelle unter den führenden armenischen Intellektuellen in Konstantinopel. Unmittelbar darauf begannen die Massendeportationen aus den Siedlungsgebieten der Armenier in Ostanatolien. In Todeskarawanen zogen monatelang Hunderttausende in Richtung der Wüsten Mesopotamiens und Syriens. Neben türkischen Sondereinheiten und Pöbel beteiligten sich auch kurdische Kommandos aktiv am Massenmord an den Armeniern. Dem Völkermord fielen nach Schätzungen von Historikern bis zu 1,5 Millionen Armenier zum Opfer. Der planmässige Mord an der armenischen Bevölkerung in den Jahren 1915/16 gilt als erster Genozid der modernen Geschichte.
Historiker: Präzise Planung Von türkischer Seite wird der Genozid bis heute bestritten. «Es ist eine historische Tatsache, dass während des Ersten Weltkriegs die Armenier 1915 aufbegehrten und schwere Gewalttaten gegen Zivilisten und den Staat verübten. Während der deshalb angeordneten Umsiedlung der Armenier mussten beide Seiten erhebliche Verluste hinnehmen», schrieb 1998 der damalige türkische Präsident Süleyman Demirel dem französischen Präsidenten Jacques Chirac. Nach Ansicht von Historikern steht die Verantwortung der damaligen türkischen Führung an dem Völkermord ausser Zweifel. Sie zitieren etwa den Generalsekretär der Jungtürken, Nazim Bey: «Es ist dringend erforderlich, das armenische Volk vollständig auszurotten, so dass kein Armenier auf unserer Erde übrigbleibt und der Begriff 'Armenien' ausgelöscht wird.» Der Genozid war ihrer Einschätzung nach präzise geplant. Zu schriftlichen Anordnungen seien mündliche Geheimbefehle gekommen, schon Monate vor Beginn der Deportationen seien Sonderkommandos aufgestellt worden.
Verunglimpfung des Türkentums Weniger kritisch darf man sich in der Türkei zu dem Thema äussern. So wurde der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk nach kritischen Äusserungen dazu auf Grundlage des Staatsschutzparagrafen 301 wegen «Verunglimpfung des Türkentums» angeklagt. Der Prozess wurde aber Anfang 2006 eingestellt. Der durch ähnlich kritische Äusserungen bekannte türkisch-armenische Journalist Hrant Dink wurde 2007 in Istanbul ermordet.
In der Schweiz hat der Nationalrat den Massenmord an den Armeniern als Genozid anerkannt, nicht jedoch der Bundesrat. Letzterer argumentiert, dies sei Sache von Historikern und nicht von Politikern. Die Regierung möchte die Beziehungen zur Türkei nicht zusätzlich belasten. Auch einige Kantonsparlamente haben den Genozid anerkannt.
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